Mittwoch, 25. Mai 2011

MUSIC IS MY BOYFRIEND

Nicht hoch genug zu loben sei der Ventil-Verlag, der Martin Büsser mit dem schönen Sammelband "Music is my Boyfriend" ehrt. Versammelt sind hier die besten Texte des 2010 im Alter von gerade einmal 42 Jahren verstorbenen Pop-Autors. Dicke und dünne Bretter werden fachgerecht durchbohrt: Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem "White Album" der Beatles und "Paint it Black" von AC/DC den Stones ("Back in Black" ist von AC/DC)? Wieso kann Tocotronic mit Die Prinzen verwechselt werden? Ist die Einbettung von Jazz in "Stereolab"-Songs zu beklatschen oder kombiniert hier jemand lediglich Frühshoppen-Dixie mit Synthiesounds?


(Martin Büsser: "Music is my Boyfriend", Ventil, 256 Seiten, 14,90 Euro)

Büsser erinnert an "The Moldy Peaches", die ihr Debütalbum mit dem Song "NYC's like a Graveyard" am Morgen des 11. September 2001 veröffentlichten, wenige Stunden bevor zwei Passagierflugzeuge in die Türme des WTC krachten. Oder an die Ursprünge des Emo-Hasses unter dem schönen Titel "Zu zart für diese Welt", angefangen mit dem sanften Witz: "Wie nennt man Kondome für Emos? - Weingummis!" Dazu: Ein bisschen Derrida und Timbaland, Bloc Party, Retro-Trends und schwuler Sound. Macht Lust, neue Mixtapes aufzunehmen - und es erzählt auch selbst von Tapes, in einem seiner letzten Texte, überschrieben mit "Wuchernde Nischen - Die Umwälzungen auf dem Tonträgermarkt und das Ende des Konsens" aus der Jungle World #16 / 2009.

Der Text fängt, für uns hochinteressant, mit diesen beiden Abschnitten an und war für mich Anlass, endlich wieder diese Zeitung zu kaufen - wie oft vergesse ich, was gut ist für mich:

"Nach einem gelungenen Konzert von Datashock, einer Band, deren Musik im weitesten Sinne als Free Folk oder Neopsychedelic klassifiziert werden kann, drückt mir der Sänger eine Plastiktüte in die Hand. Er ist auch Betreiber des kleinen Labels »Meudiademorte« und hat Rezensionsmaterial für mich zusammengestellt. Es handelt sich um einen Plastikbeutel voller Audiokassetten. Ja, richtig: »Meudiademorte« veröffentlicht fast aus­schließlich Kassetten. Und zwar nicht irgend­einen Schrott, sondern hochkarätige Künstler aus den Bereichen Noise, Folk und freie Improvisation. Auch Thurston Moore von Sonic Youth hat dem Mini-Label aus Saarlouis exklusives Material zur Verfügung gestellt. Ein echter Sonic-Youth-Fan sollte sich also von dem Gedan­ken verabschieden, seinen alten Kassettenrekorder zu verschrotten. Obwohl dies naheliegend wäre, da die Produktion von Kassetten demnächst komplett eingestellt werden soll. Insofern handelt es sich fast schon um einen anarchischen Akt der Verweigerung, als Label die Musik auf einem Speichermedium zu veröffentlichen, für das nur noch die wenigsten Menschen ein Abspielgerät haben. Oder sollte man es besser als bewusste Selbstmarginalisierung bezeichnen, die mit der sperrigen Musik auf diesen Kassetten korrespondiert? Einem Journalisten bringt diese Tüte voller Kassetten allerdings ziemlich wenig: Ich kenne kein Magazin mehr, das noch Tapes bespricht. Und ich kenne fast kein Magazin mehr, das Tonträger von Labels rezensiert, die nicht als potenzielle Anzeigenkunden in Frage kommen."

Hier gibt es den kompletten Artikel und hier auch alle anderen Junge World-Texte von Martin Büsser, quasi als Ergänzung zu dem großartigen Sammelband aus dem Ventil-Verlag.

Wir hatten aber auch Glück, zum Einen mit dem absolut großartigen Gavin Blackburn, der einen wunderbaren Beitrag für DW World geschnitten hat (wir erinnern uns) - und mir zum Geburtstag diese Torte postete (heutzutage wird nicht mehr gebacken, da wird gepostet)



Und da wir gerade bei ausländischen "Kassettendeck"-Reviews angekommen sind. Ich kann kein Spanisch, hoffe aber, dass hier auch GELOBT wird:

Ultimamente mi novia a menudo me dice que soy un nerd. Porque – según ella – cuando trato de música – escuchando, escribiendo, hablando – me metería en un túnel y no veo más otra cosa que tiene que ver con la vida real. Obviamente yo le digo que eso es cualquier cosa. No soy nadie que tiene un solo tema que habla cuando habla solamente sobre música y que sí conoce otra gente a quienes no les gusta la música tanto como a mí.

Wer uns auf jeden Fall gelobt hat: die WELT am Sonntag mit einer Seite übers "Kassettendeck":

Der Titel lässt zwar Schlimmstes befürchten, weil er den Verdacht nahelegt, es könnte sich um den x-ten Versuch handeln, aus einem weiteren Aufguss der Generation-Golf-Idee noch einen Verkaufsschlager zu machen. Doch das ist zum Glück nicht der Fall. Einige Texte schwelgen zwar durchaus in Nostalgien für jenes Band, von dem viele geglaubt hatten, es sei fürs ganze Leben. Aber Drees und Vorbau bleiben dabei nicht stehen, sondern gehen das Phänomen mit Interviews, literarischen Texten, essayartigen Aufsätzen und journalistischer Faktenrecherche an. Es gibt Beiträge von Prominenten wie Benjamin von Stuckrad-Barre, Smudo von den Fantastischen Vier oder dem DJ Hans Nieswandt, aber auch von weniger bekannten Nutzern der Musikkassette.

(Bislang nicht überklebt: "Kassettendeck"-Plakat in Hannover)

Und die österreichischen Kollegen vom Falter:

„Kassettendeck“ lädt zur Zeitreise in die 70er-, 80er- und 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als die Kassette noch weit verbreitet war. Platten wurden aufgenommen und machten im ganzen Freundeskreis die Runde. „Home taping is killing music“, gab sich die Musikindustrie schon damals apokalyptisch. Ein Ex-Bootlegger beschreibt, wie er als Jugendlicher mit dem Verkauf von Konzertmitschnitten auf Kassette mehr verdiente als seine Eltern. Und dann gab es noch die persönlichen Mixtapes, auf denen man Lieblingssongs für Freunde und – noch öfter – Angebetete in ausgeklügelter Reihenfolge zusammenstellte, um zu sagen, was man mit Worten nicht schaffte. Gefruchtet haben diese Minne-Kassetten, in die viel Liebe und Herzblut floss, allerdings eher selten."

Der Spass hört also nicht auf - und bald gibt es noch mehr. Das wurde uns geflüstert. Und nun raus, raus, in die Sonne. Nerds müssen keineswegs blass sein, glauben wir. (jan)

Dienstag, 17. Mai 2011

SUNGLASSES AT NIGHT


Von Paris, der Stadt allerberühmtester Friedhöfe aus beschäftige ich mich gerade mit Vergangenem ("Max Frisch - Biografie eines Aufstiegs" von Julian Schütt), mit der Vergänglichkeit im Allgemeinen (Theodor Storm - "Aquis submersus", vorhin beim Käse in der Sonne gelesen) und dem wunderbaren Band "Da steht mein Haus" des 101-jährigen Hans Keilson.

Während also Jahrhunderte nur so an mir vorbeifliegen, finde ich langsam Zeit, und werde diese Zeit in den kommenden Tagen umso mehr finden, um zu erinnern der etlichen vergangenen Tourtage, die ich nun peu à peu hier in Frankreich nachbereiten, für den Blog aufbereiten werde.



Aus München beispielsweise mitgenommen haben wir dieses kleine Schild, das im Eingangsbereich des "Substanz" hing und gemahnte, draußen keine Brillen zu tragen (but "I wear my sunglasses at night") - und darunter ein Kassetten-Fan-T-Shirt von Juan, der im Wuppertaler Beatz & Kekse-Café bereits platzte vor Freude über unseren Abend am vergangenen Freitag - Musik und Lesung und rappelvoll war es auch. Danke. Schön.