Montag, 21. Februar 2011

HÖRSPIELMUSIK

Trotz Tonträger loser Zeiten existieren im Heimatsender 1LIVE weiterhin CDs und Vinyl, die irgendwann den Weg alles Irdischen gehen und im großen Sammelkarton landen. Diese Kartons werden einmal im Monat zum örtlichen Kinderheim gebracht (sagt die Legende) und bevor das passiert schaue ich noch einmal durch die Platten und nehme mit, was meine Arme halten können.

Der liebe Kollege Wolfram Kähler (dessen Radio-DJ-MC-Karriere im "Kassettendeck" abgebildet wird) spottete einmal: "Na, Jan, wieder heissen Shit für die nächste Indie-Party raussuchen?" - Seitdem bediene ich mich heimlich, wenn alle Redakteure gegangen sind, allein Klaus Fiehe ganz weit hintem im Studio steht und mich keinesfalls irgendwer beobachten kann. 

Vor wenigen Wochen fischte ich aus besagtem Karton drei Schallplatten:

Randoman: "Green is the Light" (Kassette Records)
TapeDeckProjekt: "HörspielMusik 1/5"
TapeDeckProjekt: "HörspielMusik 3/5"

Wie gestern bereits angesprochen fühle ich mich wie eine Schwangere - nur eben kassettenschwanger und wer denkt: "Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich", der kann sich ungefähr vorstellen, welche Arbeit unser Lektor Karsten Kredel mit dem "Kassettendeck"-Buch hatte. Inzwischen arbeitet Karsten wieder für Suhrkamp. Ich fühle mich mitschuldig.

Auf jeden Fall muss ich als selbsternannter Kassetten-Aficionado seit 2 Jahren jede Kröte schlucken. Ja, ich hatte angenommen, eine der größten wird "Randoman" aus der Kassettenstadt Istanbul sein, der mit "Green is the light" einen frickeligen Electrosound hinlegt ("ready to rock" nennt das Label diesen Sound, was mäßig fürchterlich klingt.)

Aber hey: Der Sound ist WIRKLICH gut, er hat überhaupt gar nichts mit Kassetten zu tun, ausser dass er auf "Kassette Records" erscheint (nicht einmal als Kassette), was selbstverständlich besonders skurril ist: Digital produzierte Musik wird auf Vinyl gepresst und mit einem Tape beklebt. Ein Medium verschwindet niemals, sagt die Kommunikationswissenschaft, und das hier mag ein weiterer Beleg für diese These sein:



Aus dem gleichen Jahr (2007) ist das zeug vom TapeDeckProject, das mit Namen wie The Disco Boys, Phil Fuldner und Tom Novy punktet. Hörspielmusik wird hier zusammengeschnitten und remixed - wirklich kurios und selbstverständlich dem TKKG-Drei ???-Hype geschuldet.

Bislang habe ich Christian Vorbau nicht überzeugen können, einen TapeDeckProject-RMX ins "Kassettendeck"-Tourset einzubauen. Wenn ich weiterquengele sehe ich mich bereits wie Troubadix gefesselt während der Party im Backstage sitzen.

Es sind aber auch WIRKLICH schlechte Tracks. - 2001 erschien die Kinderheim-Erzählung "Misshandelte Zukunft" von Harry Geber. Wenn die 1LIVE-Kartons tatsächlich an verlassene Kids gespendet werden ahne ich, was dieser Titel andeuten will, in Anlehnung an Umberto Ecos Erkenntnis über remittierte Bücher aus Selbstdruckverlagen, die irgendwann Krankenhäusern und Gefängnissen gespendet werden: "womit begreiflich wird, warum erstere nicht heilen und letztere nicht resozialisieren."

Deshalb besser das "Kassettendeck" live on air hören, zum Beispiel hier.


(Jan)

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